Lagezuschlag als Wertmesser

Seit der richtungsweisenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 74/17v vom 20.11.2017 sind jetzt schon fast acht Jahre vergangen und immer noch herrscht hohe Verunsicherung bei der Ermittlung korrekter Mieten. Zur Erinnerung: Mit dieser Entscheidung hat der OGH klargestellt, dass der reine Grundkostenvergleich zur Begründung der Überdurchschnittlichkeit einer Lage nicht ausreicht. Vielmehr ist ein Lagezuschlag iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage. Diese Durchschnittslage hat der Gesetzgeber in zweierlei Hinsicht definiert: Erstens ist die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen und zweitens kann eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, schon kraft Gesetz höchstens als durchschnittlich einzustufen sein. In einem solcherart definierten Gründerzeitviertel ist ein Lagezuschlag nicht zulässig, egal wie die Verkehrsauffassung (also der Markt) diese Lage beurteilt. 

Dieser Leitentscheidung sind bis heute einige weitere oberstgerichtliche Entscheidungen gefolgt, die sich mehr oder weniger mit diversen Einzelfällen, also konkreten Wiener Adressen, auseinandergesetzt haben. Wer sich von dieser Rechtsprechung allerdings Klarheit im Lagezuschlagsdschungel erhofft hat, wurde im Großen und Ganzen enttäuscht. Zu sehr weichen die Begründungen für das Zuerkennen oder das Verwehren eines Lagezuschlags für eine konkrete Liegenschaft voneinander ab. Nicht ganz zu Unrecht wird oft von einer gerichtlichen Lagezuschlagslotterie gesprochen.

Auch die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien bietet bestenfalls eine erste Orientierung, führt aber durch die nicht zu übersehene politische Vorgabe, möglichst wenig Lagezuschläge zu „genehmigen“ letztlich zu so viel Verwirrung, dass die Schlichtungsstelle in einer Flut an Mietzinsüberprüfungsverfahren schwimmt und auch die Gerichte kaum noch nachkommen.

Verlässliche Aussagen über die Zulässigkeit von Lagezuschlägen kann daher nach wie vor niemand liefern. Weder das Gesetz, das immer noch nicht angepasst wurde, noch die Sachverständigen, die zwar mittlerweile ausgeklügelte Bewertungsmethoden entwickelt haben, um Referenzgebiete abzugrenzen und Lagekriterien bewerten zu können, aber letztlich auch nur eine Empfehlung abgeben können. Das letzte Wort sprechen die Gerichte, doch aus den vielen Einzelfallentscheidungen lassen sich kaum allgemein gültige Grundsätze ableiten.

Relativ rechtssicher hingegen lässt sich die Höhe eines möglichen Lagezuschlags darstellen. Liegt also eine Liegenschaft nicht in einem Gründerzeitviertel und überdies in einer nach der Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens überdurchschnittlichen Lage, berechnet sich der konkrete Lagezuschlag im Wesentlichen anhand des Grundkostenanteils der konkreten Lage im Verhältnis zum bereits im Richtwert enthaltenen Grundkostenanteil. Auf diese Weise ergeben sich Lagezuschläge in einer Bandbreite von ca EUR 3,00 – ca EUR 15,00/m². 

Das solcherart nun gewachsene System des Lagezuschlags hat für jene Gebäude, die in Gebieten gelegen sind, die einen Lagezuschlag rechtfertigen, durchaus Vorteile. Vor allem bis zum Jahr 2022 sind die Grundkosten rapide nach oben geklettert und haben so die Lagezuschläge „mitgenommen“. Auf einmal waren in vielen Fällen im Richtwertsystem marktkonforme Mietzinsvereinbarungen möglich.

Auf der anderen Seite geraten aber jene oft auch schöne und in guten Gegenden gelegenen Häuser, die zum Beispiel wegen einer Lage im Gründerzeitviertel keine Chance auf einen Lagezuschlag haben, massiv ins Hintertreffen. Dort muss man sich mit den sonstigen Zuschlägen zum Richtwert herumschlagen, um den mageren Wiener Ausgangsrichtwert von EUR 6,67/m² etwas aufzubessern. Im Gegensatz zum Lagezuschlag bewegen sich diese sonstigen Zuschläge aber im Cent-Bereich. 

Nicht nur, dass dem Hauseigentümer ohne Lagezuschlag bei rechtskonformer Vermietung so eine viel geringere Miete also seinem Kollegen mit Lagezuschlag bleibt (die Differenz beträgt schnell 30 % und mehr), sein Zinshaus ist auch viel weniger Wert. 

In der Immobilienbewertung ist grundsätzlich von nachhaltig zu erzielenden Nettomieten auszugehen. Folgendes (fiktives) Beispiel soll die Auswirkungen dieses Grundsatzes verdeutlichen: Schönes Zinshaus in 1080 Wien, Blindengasse (Haus 1) versus 1080 Wien, Laudongasse (Haus 2). Die Nutzflächen betragen jeweils ca 1.000 m². Tatsächlich hat der OGH vor einiger Zeit einem Haus in der Blindengasse wegen seiner Nähe zur U-Bahnstation Josefstädter Straße, die auf der Seite des 16. Bezirks angeblich ein „Drogenhotspot“ ist, die Überdurchschnittlichkeit abgesprochen. Für das Haus in der Laudongasse kann ein Lagezuschlag von zumindest EUR 5,30/m² (dies schon laut Stadt Wien) verrechnet werden.

Haus 1 erwirtschaftet auf Basis eines durchschnittlichen Mietzinses von EUR 8,00/m² (Richtwert von EUR 6,67 und ein paar Zuschlägen wegen Aufzug, Ausstattung, etc) einen jährlichen Rohertrag von EUR 96.000,00. Haus 2 kann einen durchschnittlichen Mietzins von EUR 13,30/m² und somit jährlich EUR 159.600,00 lukrieren. Die Kapitalisierung mit einem angenommenen Liegenschaftszinssatz von 2 % ergibt im ersten Fall einen Verkehrswert von EUR 3.160.000,00 und im zweiten Fall einen Wert von EUR 5.350.000,00. Das bedeutet eine satte Differenz von ca 40 %.

Eine derart hohe Wertdifferenz für ähnliche Häuser in räumlicher Nähe erscheint nicht sachgerecht zu sein. Klarerweise sollen unterschiedliche Lagen auch unterschiedliche Mietzinse nach sich ziehen. Die jetzige Methode gleicht aber einem binären Computersystem. Entweder der Zeiger steht auf 0. Dann gibt es überhaupt keinen Lagezuschlag. Oder er steht auf 1, dann gibt es gleich einen ordentlichen Zuschlag. Etwas dazwischen, das die vielleicht etwas bessere Lage in der Laudongasse gegenüber jener in der Blindengasse abbildet, lässt das Gesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung leider nicht zu.

Es ist daher für jeden Hauseigentümer essentiell, das Lagezuschlagspotential oder -risiko seiner Liegenschaft zu kennen, um einerseits bei der Mietzinsbildung kein unkalkulierbares Risiko einzugehen und andererseits aber auch keine falschen Vorstellungen vom Verkehrswert seiner Liegenschaft zu haben. Erste Orientierung kann die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien bringen, allerdings bleibt diese oft hinter der Realität und glücklicherweise auch hinter der Rechtsprechung zurück (für beide oben genannten Liegenschaften würde die Stadt Wien überhaupt keinen Lagezuschlag zuerkennen). Ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger kann in vielen Fällen sehr gut einschätzen, ob ein Lagezuschlag zusteht und jedenfalls die Höhe eines Zuschlags korrekt berechnen. Und zur Not darf man auch nicht vor einer gerichtlichen Klärung zurückschrecken. Chancen und Risken können Sachverständige in Zusammenarbeit mit spezialisierten Rechtsanwälten am besten abwägen. Trotzdem: Das System gehört dringend reformiert. Ob die jetzige Regierung mehr kann als stur die Mieten zu deckeln, bleibt abzuwarten.

Autoreninfo: Dr. Rudolf Hauswirth ist Sachverständiger für Immobilien und auf Immobilienrecht spezialisierter Rechtsanwalt 

Zurück